Selva, Madidi Nationalpark

 

Thomas und ich ziehen in ein kleines Baumhaus. Mitten im Dschungel, ohne Nachbarn. Liebevoll eingerichtet, gut geschützt vor Moskitos durch Netze. Im Madidi Nationalpark lebt und arbeitet Feizar mit seinen Mitarbeitern. Im Ganzen führen 8 Guides täglich Touristen durch die Selva. Lernen sie mit den Pflanzen umzugehen und die Tiere zu verstehen. Allesamt sind im Dschungel grossgeworden, unverkennlich lieben sie diesen Ort, der so vielen ein Tor zu einer anderen Welt öffnet.

 

Der grösste Teil des Dschungels wird durch den 1.8 Mio.Hektar grossen Madidi-Nationalpark geschützt. In einem der intaktesten Ökosysteme Südamerikas, der von dampfenden Tiefland-Regenwäldern bis hin zu 5500 Meter Hohen Andengipfeln zahlreiche Biotope umfasst, ist Heimat für eine unglaubliche Vielfalt an Amazonastieren und -pflanzen. Hier leben 44% aller Säugetierarten der neuen Welt, 38% aller neotropischen Amphibien, fast 1000 Vogelarten und mehr bedrohte Arten als in jedem anderen Park der Welt. Die bewohnten Teile im „Nirgendwo“ des Parks entlang des Rio Tuichi haben von der UNESCO eine Spezialregelung erhalten, die es der Indigenen Bevölkerung erlaubt, die traditionellen Ressourcen des Regenwaldes zu nutzen.

 

3 Tage führt uns Feizar, Orlando und Leon durch das Dickicht. Mit jedem Tag verliebe ich mich mehr in diesen Ort. Orlando, unser persönlicher Tourguide, wobei dies die falsche Bezeichnung ist, war es doch viel mehr als das, amüsiert sich köstlich. Regelmässig bricht er in schallendes Lachen aus, wenn Sam versucht über den Ast, der als Brücke dient zu balancieren. Wenn sich die Haare von Rebekka in den Ästen verfangen. Wenn Thomas im Schlamm fast auf die Schnauze fällt oder wenn ich lustige Spanischfehler mache. „Gringos“ im Dschungel. Sein schelmisches Lachen, während er uns mit natürlicher Farbe bemalt, wird mir in Erinnerung bleiben. Verträumt beobachte ich, am ersten Nachmittag die Macwas, von einem Aussichtspunkt aus. Päärchenweise gleiten die eleganten, rot-blau gefiederten Papageien an uns vorbei. „Wenn einer der Beiden stirbt, so stirbt der andere an gebrochenem Herzen“ erklärt Orlando. „Bei uns ist das nicht so“, fährt er fort und unterbricht so die romantische Vorstellung „mein Vater hatte 4 Frauen. 18 Kinder. Jede Frau in einem anderen Dorf. Das ist ganz normal hier. Ich habe mein Herz nur an eine Frau verschenkt“. Huuuff… Gerade noch so die Kurve gekriegt. Mit 15 hatte er sein erstes Kind, Verhütung können sich die jungen Frauen hier nicht leisten, weshalb man oft 13 jährige Mädchen mit Kindern antrifft. Ein ungeschriebenes Gesetzt besagt, dass sobald der Mann ein Kind gezeugt hat, die Frau bei ihm einziehen muss und der Mann für den ganzen Unterhalt aufkommen muss.

 

Nach einer Nachtwalkingtour versammeln wir uns am Lagerfeuer, wo uns Orlando seine Kultur näherbringt. Wir dürfen bei einer Zeremonie für Pachamama dabei sein, wo Opfergaben in Form von Alkohol, Zigaretten und Cocablätter in eine Mulde in der Erde gelegt wird. „Pachamama ist alles, nicht eine Person, nicht ein Tier, Pachamama ist all das wunderbare um uns und in uns. Ich erzähle euch was passiert, wenn man nicht Danksagungen und Gebete zu Pachamama führt. Besonders hier im Dschungel kommen die schlechte und die gute Energie zusammen. Es ist wichtig, sich von der schlechten Energie zu reinigen.“ Und so erzählt uns Orlando die Geschichte vom Jungen der im Dschungel verschollen war.

 

Lost in the Jungle

 

Alles begann in der Karnevalzeit in eben diesem Dschungel. Eine Gruppe von Touristen findet sich am Lagerfeuer in unserem Camp ein. Der Führer möchte gerne eine Opfergabe bringen und bittet seine Gruppe ans Feuer. Einer der jungen Herren ist gar nicht begeistert davon. Er glaube nicht an diesen Aberglauben und möchte dieser Zeremonie nicht beiwohnen. Der Guide spricht ihm ins gewisse und verweist auf den Karneval: „In dieser Zeit ballt sich all die schlechte Energie im Dschungel zusammen. Man findet sie in Form der Eule, die auf dem Ast über uns ruht, in den Bäumen, die uns den Weg weisen und den Menschen, die betrunken in den Strassen liegen. Es ist wichtig zu Pachamama zu beten und uns zu befreien von dieser schlechten Energie.“ Doch der junge Tourist möchte nicht und entfernt sich von der Gruppe. Einige Zeit später schickt der Guide die Freundin des Jungen um nach ihm zu sehen, doch er war nicht mehr am vereinbarten Ort. Schnell schickt der Guide ein Suchtrupp auf, doch der Tourist bleibt verschollen. Es wird ein Schamane zu Hilfe gerufen der erklärt, dass all die schlechte Energie auf den Jungen übergegangen sei, völlig im Dschungel aufgegangen, könne er nicht sagen wo er sich befindet und ober lebt oder nicht. 10 Tage betete der Schamane, opferte und führte mit der ganzen Gruppe Zeremonien durch. Der Karneval war vorüber, als der Schamane plötzlich seine Ohren spitzt. „Hört ihr das Schreien? Der Junge lebt!“. Der Schamane weist dem Suchtrupp den Weg und einige Stunden später konnte der junge Tourist gesund und ohne Blessuren geborgen werden. Als er sich am Feuer aufgewärmt hatte und seinen Hunger gestillt war wollten die Helfer wissen was passiert war.

 

„Ich sass am Feuer und wartete bis meine Gruppe zurückkommt, als ich einen Herrn vor mir sah, der mir winkte und mich bat mit ihm in den Dschungel zu kommen. Bald hatte ich mich aber im Dickicht verloren und wusste nicht mehr wohin zurück. Stunden vergingen und der Hunger kam. Affen zeigten mir was ich essen soll. Pachamama war überall, zeigte mir wo ich schlafen soll und wie ich überleben kann.“

 

Buchtipp: Lost in de Jungle. Der Junge wurde von Tereza und ihrer Truppe im Madidi Nationalpark geborgen.

 

„Und das alles nur, weil er unserer Zeremonie nicht beiwohnen wollte“ beendet Orlando seine Geschichte. „Also wer diese Zeremonie nicht machen möchte darf ins Bett. Möchte jemand? Wenn nicht, erzähle ich euch eine weitere Geschichte. Ebenso bestraft Pachamama nämlich auch Gierige Menschen und zeigt ihnen den Weg.“ Keiner von uns möchte nun ins Bett.

 

Vor langer Zeit machten sich 4 Freunde aus Israel auf den Weg in den Madidi Park. Sie hatten von Gold im Rio gehört. Nach langer vergeblicher Suche machten sich 2 der Freunde auf den Heimweg. Josef und ein weiterer Kollege wollten aber noch nicht aufgeben und führten die Reise weiter. Eines Tages kenterte ihr Schiff, während sich einer der beiden an Land retten konnte, stürzte Josef in die Tiefe. Sein Kollege machte sich vergeblich auf um ihn zu bergen und lief nach einigen Stunden ernüchtert in das nächste Dorf, wo er einen Herrn fand, der seine Sprache spricht. Ihm schildert er das ganze Geschehene. „Ich kenne einen Schamanen, der dir helfen kann. Wir müssen aber eine weite Reise auf uns nehmen um ihn zu besuchen.“ Ohne zu zögern nahm der Israeli das Angebot an. Schliesslich war es seine letzte Hoffnung. Auch dieser Schamane kann helfen und verrät den Herren wo sich Josef befindet. Unter einem Baum zusammengekauert, die Kleider aufgefressen von den Ameisen und völlig desorientiert finden sie den ausgehungerten Israeli. Als sein Kollege auf ihn zugeht und ihn freudig umarmen will, reagiert Josef jedoch alles andere als erwartet. Er beisst zu und wetzt seine Krallen. Erneut wird der Schamane zu Hilfe gezogen, welcher den langen Weg bis zu Josef auf sich nimmt. Seine Rituale wirken und die schlechte Energie weicht schon bald von Josef. Einige Tage später möchte Josef mit dem Schamanen an seinen Fundort. Es ist 12:00 Uhr mittags, als der Schamane meint „Zeit zu Ruhen, Josef, lass uns zurück gehen.“ Josef möchte nicht. Etwas energischer besteht der Schamane darauf, jetzt doch bitte zu gehen, es wäre Mittag und Zeit zu Ruhen. Ein zweites Mal verneint Josef, als der Schamane ihn weg zieht. In eben diesem Moment fällt ein Ast zu Boden. Josef staunt nicht schlecht und bedankt sich überschwänglich beim Schamanen. „Du hast mir soeben das 2. Mal das Leben gerettet!“

 

Einige Zeit später sucht Josef den Schamanen erneut auf um ihm als Dank Geld zu schenken. Der Schamane möchte das Geld nicht, bedankt sich aber höflich.

 

„Dieser Schamane, war der Vater von Feizar.“ Beendet Orlando die Geschichte. In diesem lässt mich ein brennender Schmerz zusammenzucken. Eine Zecke hatte sich mit ihren Zähnen in meinem Bauch gebohrt. Ich mache mich bereit die Zecke rauszuziehen, als mir Orlando auf meine Hand klatscht. „Nicht! Wenn du den Kopf nicht erwischt ist das sehr schlecht. Ich zeige dir, wie das geht.“ Mit einer brennenden Zigarette nähert er sich der Zecke. „Das mögen sie nicht!“ nuschelt er konzentriert. Wie von selbst krabbelt da die Zecke zurück. In den folgenden Tagen wecke ich meine Mitbewohner noch 2 Mal, weil ich weitere Zecken finde. Abwechselnd rauchen wir mitten in der Nacht Zigaretten im Zimmer. Amüsant für unsere Mitreisenden, weniger aber für mich.

 

Am letzten Tag im Dschungel bastelt Orlando für jeden von uns eine wunderschöne Kette als Abschied. Einen Zahn einer Wildsau ziert die Mitte, was uns beschützen soll. Auch Orlando bekam als Junge eine solche Kette, wobei sein Zahn eines Jaguars abstammt und er die Kette von seinem Vater erhalten hatte. Es heisst, dass der Zahn verbricht, wenn es dir nicht gut geht.

 

Nach 3 Tagen Dschungel, wechseln wir heute in die Pampas. Ein wenig wehmütig nehmen wir Abschied von den Jungs. Wobei Feizar uns weiter begleiten wird.

 

 

 

Tipp: Agentur Max Jungle